pro plus berlin e.V. bei...

Ein kurzer Reisebericht von der 22. International Aids-Conference

„Breaking barriers, building bridges“ 

Vom 23.-27.07.2018 hat in Amsterdam die 22. IAC stattgefunden – erneut nach 26 Jahren. Und ich durfte dabei sein!

Zum zweiten Mal fand die Konferenz nun in Amsterdam statt. Das erste Mal fand die Konferenz 1992, als sie eigentlich in den USA stattfinden sollte, in Amsterdam statt. Nachdem kurz vorher die USA allerdings die Einreisebestimmungen für Menschen mit HIV verschärften – sie durften NICHT mehr einreisen (was bis 2013 galt) – wurde die IAC für 1992 kurzfristig nach Amsterdam verlegt. In diesem Jahr fand die 22. IAC nun regulär in den Niederlanden statt. Mein Glück! Denn so war der Reiseweg nicht so weit (6,5 Stunden pro Strecke mit dem IC). Und nachdem ich bisher nur auf zwei Tagesausflügen mit meinen jeweiligen Klassen vor Jahren (genauer gesagt vor 25 und 19 Jahren – ja, ich bin alt…) war, nutzte ich die Gelegenheit auch gleich und reiste zwei Tage früher an und einen Tag später ab.

So konnte ich mir ein wenig die Stadt und das Rembrandtshuis anschauen. Das Wetter hat es ja sehr gut mit uns gemeint. Zum Glück gab es in den Gebäuden Klimaanlagen. Wobei die Klimaanlage im RAI-Kongresscenter schon sehr viel Ähnlichkeit mit einem sehr gut funktionierenden Kühlschrank hatte. 🙂
Bevor ich nun aber auf die Konferenz komme hier noch die Statistiken meines Amsterdam-Aufenthalts:
ca. 115.000 Schritte
ca. 60 km absolviert zu Fuß
gut zwei Kilo angenommen
20 Veranstaltungen mit insgesamt ca. 31 Stunden besucht

Aber wie war denn nun die IAC?
Es ist wirklich schwer zu beschreiben. Unglaublich, emotional, ergreifend, lehrreich, interessant, Horizont erweiternd, anstrengend, bewegend, informativ – und ich könnte noch viel mehr Adjektive anführen. Aber ein Adjektiv bringt es wohl auf den Punkt: Unbeschreiblich!
Schon alleine, was ich an Persönlichkeiten gesehen und getroffen habe… Da waren Prinzessin Mabel von den Niederlanden, Charlize Theron, Kongressfrau Barbara Lee, die Enkel von Elizabeth Taylor, Prinz Harry von Windsor, Sir Elton John und Aktivisten aus Belgien, Russland, Ukraine, Kolumbien, Venezuela, Sexworker, Druguser und und und… Es waren Begegnungen die interessant waren, in denen man lachen konnte, die nachdenklich machten, die berührten und einem die Augen öffneten.
Bisher habe ich mir über die Situation von Sexworkern und Drugusern keine großen Gedanken gemacht. Als ich mich mit ihnen aber unterhalten habe habe ich gemerkt, wie viel Glück ich in der gesundheitlichen und medizinischen Versorgung in Deutschland habe. Ja, auch hier muss noch einiges getan werden. Aber im Vergleich zu anderen Ländern und Communities erscheint mir das wie „Luxusprobleme“. In den ersten zwei Tagen habe ich mich auch gewundert, wieso bestimmte Communities auf der Konferenz demonstrierten. Ich dachte, dass dort alle Teilnehmer ja mit deren Inhalten übereinstimmten. Das stimmte auch. Aber bei bestimmten Teilnehmern, wie Politikern, macht es natürlich auch auf einer Konferenz Sinn für seine Rechte – für gleiche Menschenrechte – zu demonstrieren. Und, und auf diese Motivation kam ich erst durch Gespräche und den Austausch, auf der Konferenz ist für manche Communities die einzige Möglichkeit sich einmal offen zu zeigen. Ich kann in Berlin und Deutschland überall auf die Straße gehen und meine Meinung äußern. Es gibt aber auch Länder, da ist das nicht möglich. Dort müssen die Communities Angst haben zusammengeschlagen, eingesperrt und verschleppt zu werden. Deswegen nutzten sie den geschützten Raum der Konferenz.
Besonders zwei Begegnungen sprachen mit persönlich emotional sehr an. Ich war in einem Community-Workshop über Chemsex. Und dort habe ich mich getraut etwas vor dem Auditorium (auf englisch…) zu sagen. Ich habe angemerkt, dass ich es positiv finde, dass neben den „Professionellen“ auch ein junger Betroffener, der seit 10 Monaten clean ist, auf dem Podium saß. Mir fehlte nur, aufgrund der Fragestellung, ein älterer Cleaner – wie mich. Und ich merkte an, dass mir eine Auseinandersetzung bei der Thematik sehr fehlt: Bei der Verbreitung von Chemsex, wie können clean lebende Menschen trotzdem ihre Sexualität ausleben – gerade in Städten wie Berlin. Am nächsten Tag wurde ich daraufhin von zwei Personen angesprochen. Und insbesondere eines der beiden Gespräche war sehr ausführlich und intensiv. Da habe ich gemerkt, dass ich die Menschen mit meiner Geschichte ansprechen kann. Und das will ich mehr nutzen…

Einige Veranstaltungen und Gespräche waren schon sehr intensiv. Aber eine Sache hat es geschafft, dass ich ab Donnerstag „Pudding im Kopf“ hatte – Englisch! 🙂
Nach fünf Tagen fast durchgehend in englisch konnte ich langsam nicht mehr. Ich hatte schon längst begonnen meine Notizen in englisch zu machen und deutschen Freunden auf englisch zu texten. Ich dachte in englisch. Und wenn ich doch mal auf deutsch schrieb war der erste Entwurf oft ein schreckliches Denglisch… 😉

Aber was gab es inhaltlich? Was ist bei mir hängengeblieben?
Let’s get loud! Wir müssen unsere Stimmen erheben – für alle, denn wir sind alle eine Community! Und dort, wo die Menschen ihre Stimme nicht ohne Gefahr für Leib und Leben erheben können, müssen die, die es können, umso lauter rufen. Und insbesondere die Privilegierten müssen ihre Privilegien nutzen.
Chase the virus, not the people! Wir – Politik, Gesundheitssysteme, NGOs, Aktivist*innen – wir müssen gemeinsam etwas gegen das Virus unternehmen und nicht gegen die Menschen mit HIV. Und wir müssen uns, dort wo es nötig ist, Diskriminierung und Stigmatisierung entgegenstellen. Barrieren müssen niedergerissen und (flexible) Brücken gebaut werden – Brücken der Menschlichkeit. Wir sind alle Menschen, lasst uns auch so miteinander umgehen.
Das Leben ohne Diskriminierung und Stigmatisierung und eine gute gesundheitliche / medizinische Versorgung sind Menschenrechte! Und jeder Mensch hat das Recht auf ein gutes Leben.
Alle verschiedenen Communities müssen sich zusammen tun und gemeinsam arbeiten. Alle müssen mitgenommen werden – insbesondere die junge Generation an Menschen mit HIV. Und das auch länderübergreifend. Denn HIV beschränkt sich nicht nur auf ein bestimmtes Gebiet, es ist ein globales Thema. HIV kennt keine Grenzen!
Um Stigmatisierung, um Vorurteile abzubauen ist es notwendig, dass bestimmte Communities (insbesondere Sexworker und Druguser, aber auch Homosexualität) entkriminalisiert werden.
Unsere Vielfalt ist unsere Stärke! Und Aktivismus kann nicht nur durch einzelne Personen wirksam werden. WIR müssen alle zu Aktiven / zu Aktivist*innen werden. Nichts über uns ohne uns! Nicht über die Menschen reden, mit ihnen. Aktivismus muss gezielt und lokal ansetzen, kann sich dafür aber global vernetzten, voneinander lernen. Wir haben die Power! Wir dürfen nur nicht wieder zuhause in alte Routinen zurückfallen.
Wir haben mittlerweile gute Präventionsmöglichkeiten – das Kondom, die PrEP und den Schutz durch Therapie (U=U). Diese müssen nun nur durch die Zusammenarbeit aller Player im Bereich HIV bekanntgemacht und verbreitet werden. Dabei können die Regierungen die Gelder stellen, wir Aktivist*innen das Herz für die Arbeit.
Es gibt keinen Grund zur Homonegativität, denn es ist nichts schlimmes oder schlechtes daran homosexuell zu sein! Die internalisierte Homonegativität stellt aber ein großes Problem in der Arbeit mit HIV dar. Dies gilt auch für HIVnegativität. Außerdem macht internalisierte Homo-/HIVnegativität und internalisierte Stigmatisierung krank.
Um über HIV informieren und wirklich aufklären zu können muss es möglich sein frei und offen über Sex, Sexualität, Gesundheitsvorsorge und Liebe zu sprechen.
Enough is enough – jetzt muss sich etwas ändern, damit wirksam etwas gegen die Verbreitung von HIV und die Stigmatisierung unternommen werden kann.

Was mich ziemlich erschrocken hat ist, dass die 90-90-90 (die “0“ wurde in diesem Zusammenhang leider nicht einmal erwähnt…) gerade sehr in Gefahr ist. Zwar stagnieren die Neu-Infektionszahlen global gesehen, aber in Ost-Europa und Asien sind sie massiv angestiegen. Das Resultat, wenn man Aufklärung als Propaganda unterdrückt und sich mit dem Thema HIV nicht auseinandersetzt, es gar leugnet.
Was kann und muss hier unternommen werden? Eine Frage, die uns in nächster Zeit beschäftigen wird und muss.

Sehr positiv ist mit dagegen „U=U“ aufgefallen:
Es wurde mehr als einmal und mehr als deutlich gesagt, dass „U=U“ ist – und das dies durch alle Studien nun wissenschaftlich fundiert und bewiesen ist. Undetectable = Untransmittable – wer unter der Nachweisgrenze ist ist gleichzeitig nichtinfektiös. Jetzt muss das BMG und die BZgA dies noch verstehen, denn bisher wehren sie sich ja gegen diese Säule und wollen sie an den Rand drängen. Aber U=U ist eine der drei Präventionssäulen (neben dem Kondom und der PrEP), die nun in der Mitte der Gesellschaft bekanntgemacht und verankert werden muss.

Die Tage in Amsterdam und auf der 22. IAC waren einfach der Wahnsinn! Menschen aus allen Himmelsrichtungen und aus 160 Ländern trafen sich, um sich über HIV und Aids auszutauschen und gemeinsam nach (neuen) Wegen gegen die Ausweitung der Infektion, zur Prävention und gegen Diskriminierung und Stigmatisierung zu suchen.
Apropos Diskriminierung und Stigmatisierung: Eigentlich soll die nächste Konferenz 2020 in San Francisco / Oakland stattfinden. Dagegen gibt es aber gerade starke Widerstände. Denn eine Internationale Welt-Konferenz muss für alle offen sein – und dies ist in den USA derzeit nicht der Fall… Alle islamischen Länder, Sexworker und Druguser dürfen derzeit nicht einreisen und könnten somit nicht an der Konferenz teilnehmen. Macht eine solche Konferenz dann Sinn und sollte nicht lieber verlegt werden? Oder sollte man nicht gegen die derzeitigen Einreisebestimmungen etwas unternehmen und Trump etwas entgegensetzen?
Irgendwie fühle ich mich an 1992 erinnert. Mal schauen, wo die 23. IAC 2020 stattfinden wird…

Zum Schluss möchte ich mich nun noch bei allen bedanken, die mir diese Teilnahme und die damit verbundenen Erfahrungen und Erlebnisse ermöglicht haben!
Als erstes bei meinem Arbeitgeber, der mich für diese fünf Tage freigestellt hat!
Als zweites und besonders herzlich aber bei all denen, die mir durch ihre Spende den Kauf des Konferenztickets ermöglicht haben! Namentlich sind dies: Alexandra, Andreas, Barbara, Birgit, Chris, Christian F., Christian M., Christine, Claudia, Elke, Guido, Heiko, Helga, Ines, Matthias, Max, Melanie, Michael B., Michael St., Monika K., Monika P., Nana, Nicole, Nina, Peter, Sebastian, Siegfried, Sina, Stephan, Sven, Ulrike und Vivi. ICH DANKE EUCH AUS TIEFSTEM HERZEN!!! Ohne euch wäre diese Teilnahme so nicht möglich gewesen!!! Ihr habt mich überrascht und emotional sehr tief berührt. So tief, dass ich, als ich das Ticket am Sonntag auf der Konferenz abgeholt habe, mit den Tränen kämpfen musste… Danke!!!

Und als kleiner Abschluss, als Resümee und Ausblick – 2020 möchte ich wieder an der dann 23. International Aids-Conference teilnehmen! Ich werde rechtzeitig für die Reise- und Übernachtungskosten anfangen zu sparen. Und für das Ticket werde ich wieder einen Spendenaufruf machen – dann aber einen Tag mit einem „Sponsoren-Shirt“ auf der Konferenz rumlaufen, auf dem alle Spender vermerkt sind. 😉

Euer Christoph