Blickpunkt

Wie eine Netflix Serie ein gutes Beispiel für HIV Aufklärung hätte sein können, aber es komplett versaut hat!

Liebe Lesende,

ein paar Erklärungen vorab. Ich werde mich in diesem persönlichen Kommentar auf die Handlung der letzten Folge, der Netflix Serie „13 Reasons Why“ beziehen. Dies bedeutet Spoiler und falls mensch die Serie noch schauen möchte, sollte er*sie hier stoppen zu lesen. Weiterhin sei geschrieben, dass ich nicht die gesamte Serie gesehen habe, sondern nur die ersten 40 Minuten der letzten Folge. Dementsprechend kann ich keine akkuraten Aussagen zu der gesamten Serie und den Charakteren machen. Ich habe versucht mich soweit wie möglich über die Handlung der Serie und deren Charaktere aufzuklären und habe selbst auch das Buch, auf welchem die Serie basiert, gelesen. Falls es jedoch zu Fehlern kommen sollte, möchte ich diese hiermit entschuldigen und bitten mich auf diese aufmerksam zu machen.

Nach diesen Erklärungen vorab, nun zum eigentlichen Kommentar:

Am 5.Juni 2020 wurde die vierte und letzte Staffel der Serie „13 Reasons Why“ veröffentlicht. Schon in den vergangenen Staffeln hat sich die Serie mit schockierenden Themen auseinandergesetzt und ist dabei oftmals übers eigene Ziel der Aufklärung hinausgeschossen was Kritik nach sich zog. In der vierten Staffel brauchte es solch ein schockierendes Thema nun ebenfalls, verbunden mit dem Tod eines weiteren Charakters. Nach Selbstmord, Vergewaltigung und Mord, sollte es dieses Mal nun also HIV und AIDS als das schockierende Thema sein, welches die Autor*innen der Serie auserkoren.

Am Ende der vorletzten Folge der Serie bricht der Charakter Justin Foley auf dem Abschlussball überraschend zusammen und in der anschließenden letzten Folge erfahren wir über seine HIV und AIDS Diagnose. Bis hierhin ist für mich erst einmal alles in Ordnung. Ich finde es mutig und sogar sehr richtig von den Autor*innen das Thema HIV und AIDS in einer Jugendserie zum Thema zu machen und damit potenziell zu sensibilisieren. Nur leider ist das was auf die Diagnose und den Zusammenbruch folgt, weder nah an der heutigen Realität von Menschen mit HIV dran noch ist die Darstellung der Krankheit und der Verlauf angepasst an die heutige Zeit. Die Autor*innen lassen einen Charakter innerhalb von nur! 40 Minuten an HIV und AIDS sterben und unterlegen dies mit mehrfacher trauriger und dramatisierender Musik, sowie einem rapiden körperlichen Verfall, den die Medizin so wahrscheinlich noch nicht gesehen hat.

Muss es diese Symbolik im Jahr 2020 zum Thema HIV und AIDS noch geben?

Ja, auch heute sterben noch Menschen durch AIDS bezogene Komplikationen, aber dies ist glücklicherweise in der westlichen Welt heutzutage nicht mehr die Regel, sondern die Ausnahme! Die Serie wird vor allem von jungen Menschen geschaut, welche wir als Selbsthilfegruppen oftmals nur schwer erreichen können. Die aber die wichtigste Zielgruppe sind, da sie die junge Generation sind, welche das Stigma verknüpft mit HIV überwinden könnten und wenn nicht, es noch am Längsten von allen weitertragen werden. Warum vergeudet eine Serie solch ein Potenzial und nimmt HIV und AIDS nur mal wieder als eine Sensationsmeldung mit schrecklichem Ausgang? Was soll uns das beibringen in Bezug auf diese Krankheit? Es ist schrecklich und beschämend das Autor*innen sich nicht bewusster ihrer Verantwortung, aber auch der Tragweite der Dinge sind, die sie in ihre Drehbücher schreiben. Warum müssen für einen sensationellen Plot Twist sowieso schon stigmatisierte Krankheiten herhalten, welche damit zu kämpfen haben, diese abzubauen?

Zu alledem, haben die Autor*innen aber außerdem noch einen Charakter gewählt, welcher Charakterentwicklungen hinter sich hat, die mensch als typische Voraussetzungen von HIV und AIDS verstehen kann, wenn er*sie denn so möchte. Justin Foley hatte sowohl Geschichten zu Konsum von Drogen als auch Obdachlosigkeit und Sexarbeit in sich vereint, sodass hier eine bereits stigmatisierte Krankheit mit anderen stigmatisierten Lebensgeschichten verknüpft wird. Diese Verknüpfungen sind nicht neu und ja, Menschen mit dem Konsum von ‚harten‘ Drogen und Menschen die Sexarbeit als Beruf nachgehen, haben eine statistische höhere Wahrscheinlichkeit sich mit HIV anzustecken. Aber müssen wir diese bereits bekannten und ausgelatschten Stereotype noch weiter im Jahr 2020 austreten?

Warum musste der Charakter also am Ende sterben und warum konnte er seine HIV Infektion nicht überleben und ein relativ normales Leben damit führen, wie auch ich und viele meiner Freund*innen in der Community es tun? Wo ist unsere Repräsentanz in dieser Geschichte? Die Aussage, dass der Tod von Justin Foley notwendig war, um die tragische und traurige Geschichte stärker und emotionaler zu machen, lasse ich nicht gelten. Wäre es nicht viel befreiender gewesen, wenn Justin eben gerade überlebt hätte und die Serie Menschen gezeigt hätte, dass widrige Umstände eben nicht das Todesurteil bedeuten, welches oftmals noch mit HIV und AIDS in Verbindung gebracht wird? Das sich hierbei nicht nur die Autor*innen für den Tod den entschieden haben, sondern auch der Cast sich dafür ausgesprochen hat, macht diese Geschichte nur noch trauriger und zeigt wie viel fehlendes Bewusstsein es anscheinend in der gesamten Produktion dieser Serie gab und noch gibt.

Die Serie und auch Netflix hätten HIV und AIDS einen riesigen Dienst erweisen können, indem sie zeigen, wie anders das Bild von HIV und AIDS heute ist. Stattdessen hat sie sich aber nur selbst einen Bärendienst erwiesen, um mit Sensation und „schrecklichen Bildern“ im Gespräch zu bleiben. Ich möchte solch ein Verhalten im Jahr 2020 nicht mehr toleriert wissen und sehen. Es ist zum Weinen!

Weiterführende Links zum Thema:

“13 Reasons Why” Ends on a “Potentially Traumatic” HIV Twist: https://www.poz.com/article/13-reason-ends-lazy-potential-traumatic-hiv-twist

Dylan Minnette on 13 Reasons Why ending and that ‚devastating‘ death: https://ew.com/tv/dylan-minnette-13-reasons-why-ending-justin-death/