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„Was sind das für Zeiten…“

Was sind das für Zeiten, in denen wir gerade leben!

Dezember 2019 – ein Virus kommt in China auf. Weit weg. Ich fragte mich, was mich das tangiert. Und dann, Mitte März 2020 – Lockdown. Der Virus mit Namen COVID-19 ist nun auch in Deutschland angekommen. Und alles wird dicht gemacht und runtergefahren. Geschäfte müssen schließen, nur die lebensnotwendigen bleiben mit Auflagen geöffnet. Kindergärten, Schulen, Theater, Kinos, Restaurants, Fitnessstudios und vieles vieles mehr – geschlossen. Das öffentliche Leben kommt zum Erliegen. Die Straßen sind fast wie ausgestorben. Ich erinnere mich, dass (als kurze Aufenthalte draußen erlaubt wurden) ich mit meinem Mann mit den Rädern durch Berlin gefahren bin. Wir waren am Brandenburger Tor – und wir waren die einzigen Menschen dort. Was für ein Gefühl – herrlich und beängstigend. Das Brandenburger Tor so leer? Ja, Reisen sind auch nicht mehr möglich.

     Aber nicht nur das öffentliche, auch das aktivistische Leben kommt größtenteils zum Erliegen. Unseren Stammtisch mussten wir absagen. Unsere Mitgliederversammlung konnten wir nicht durchführen. Veranstaltungen und Kongresse (wie die PoBe) fielen und fallen aus. Alles fiel irgendwie in den Dornröschen-Schlaf. Nichts mehr.

     Nichts mehr? Vieles kam zwar zum Erliegen und konnte / kann nicht stattfinden, aber so ganz aktivistisch untätig waren wir von pro plus berlin e.V. seit März nicht. So haben wir weiter mit an der Zukunft von AktHIV.de gearbeitet. Wir konnten die medizinischen Infoveranstaltungen, die für das Frühjahr angedacht waren, für den 24.10. und 29.11. weiter planen und festmachen. Über die jährliche Fahrradtour am 19.09. wurde sich Gedanken gemacht. Der Welt-Aids-Tag konnte auch wieder im Chamäleon festgemacht werden. Und noch manch „Großes“ mehr konnten wir bewegen, über das wir zu gegebener Zeit berichten werden. Nichts mehr? Ihr seht, so ganz stimmt das für uns nicht.

     Und zum Glück ändern sich die Zeiten ja auch wieder. Mehr und mehr werden Auflagen gelockert und öffentliches wie aktivistisches Leben wieder mehr und mehr möglich. So kann seit dem 09.06. unser Stammtisch im Kurhaus Korsakow mit gebührenden Abstand (von 1,5m) wieder stattfinden. Nach aktueller Lage können wir eben die Fahrradtour wie auch die medizinische Infoveranstaltung durchführen. Und zum 3. Netzwerketreffen im Oktober in München sind wir auch schon angemeldet. Langsam, aber sicher, werden wir wieder aktiver.

     Und das ist auch gut so und notwendig – denn noch immer ist der Kampf gegen Diskriminierung und Stigmatisierung nötig.

     Aber nicht nur Covid-19 hielt in dem ersten Halbjahr des Jahres die Welt im Griff.

Am 25.05.2020 starb George Floyd unter grausamen und rassistischen Umständen und der Welt wurde deutlich – neben Diskriminierung und Stigmatisierung ist auch Rassismus ein großes Problem, auch in unserer Gesellschaft noch. Wenn man COVID-19 etwas Gutes abgewinnen will, dann hat es Menschen trotz SocialDistancing und Abstandsregeln näher zusammengebracht. Nachbarn kümmerten und interessierten sich plötzlich füreinander, Freundschaften und Kontakte wurden gewissenhafter gepflegt. Aber Rassismus, er will spalten. Er will Menschen einteilen – in gut und schlecht. Er will ausgrenzen und, im extremsten Fall, vernichten. Er löscht Leben aus – wie das von George Floyd.

     In unserer Satzung steht zwar, dass unser Hauptziel die Verringerung von Diskriminierung und Stigmatisierung von Menschen mit HIV ist. Aber bei Rassismus sollten und können wir die Augen nicht verschließen. Und wir als pro plus berlin e.V. stehen natürlich hinter unserem Hauptziel, aber wir stellen uns auch gegen jegliche andere Diskriminierung und Stigmatisierung von Menschen und gegen Rassismus! Wir sind alles Menschen mit gleichen Rechten und Pflichten! Und niemand ist besser oder schlechter als ein anderer Mensch! Ich halte es da mit Sebastian Pufpaff: Es gibt nur zwei Sorten von Menschen – Menschen und Arschlöcher. Und, meine persönliche Meinung, damit hat er recht.

Derzeit gibt es ja auch in unserer Berliner Szene eine Auseinandersetzung mit verstörenden Äußerungen. Die eine Seite sagt es ist Satire und künstlerische Freiheit, die andere Seite nennt es Rassismus. Und wieder wäre zu diskutieren, ob Satire alles darf…

Meine Meinung dazu ist, dass man in diesen Zeiten, in denen sich Menschen, die offensichtlich immer wieder hinter „missverstandenen Äußerungen“ verstecken, diese dazu nutzen ihren Hass, ihren Rassismus und auch Sexismus einfach nur zu verbreiten, die Menschen spalten und nieder machen wollen, auch in der Satire – oder in welcher Form auch immer – seine Worte gut wählen muss. Denn Menschen, die eh schon Rassisten etc. sind, werden dies als Bestätigung sehen. Und manchmal ist es besser seine Meinung nicht zu verklausulieren, sondern mit direkten und einfachen Worten Diskriminierung, Stigmatisierung, Rassismus und Sexismus zu benennen. Dem Hass und dem negativem (braunen) Gedankengut klar und deutlich etwas entgegenstellen – deutlich und unmissverständlich.

Und ich glaube, es würde sich lohnen auch mal über Diskriminierung, Stigmatisierung, Rassismus und Sexismus innerhalb unserer eigenen Community zu sprechen…

Diese Diskussion hängt nun aber auch über dem CSD, der am heutigen Tag durch die Straßen Berlins ziehen sollte und nun digital stattfinden wird. – „Don’t hide your Pride“ – ein Motte, dass zweifach zu verstehen ist.

Trotz aller auch positiven Veränderungen für die Community ist es auch 2020 noch wichtig Flagge zu bekennen und Missstände anzusprechen. Noch immer gibt es homophobe Übergriffe. Noch immer ist ein homosexuelles Leben nicht von allen Menschen akzeptiert und wird nicht als selbstverständlich angesehen. Noch immer müssen wir für Anerkennung und Gleichberechtigung kämpfen. Und nicht nur wir Homosexuellen. Dazu kommen all die Menschen und ihre Bedürfnisse, die auch zu den Farben des Regenbogen gehören: Trans*Menschen, homosexuelle Lehrer*innen, Sexarbeiter*innen, dazu die Abschaffung von Markierungen des HIV-Status beispielsweise in Krankenakten, queere Familien und und und… Deswegen müssen wir auch 2020 noch auf die Straße gehen und dürfen unseren „Pride“ (CSD) nicht verstecken! Natürlich, digital hat es keine so große Wirkung als wie wenn tausende von bunten Menschen durch die Straßen ziehen. Aber digital ist besser als gar nichts zu machen. Und es ist ja auch nicht so, dass gar nichts stattfindet. Schon am 27.06. fand ein alternativer CSD auf den Straßen Berlins statt. Und heute geht der Dyke March auch in der realen Welt durch die Straßen.

Aber nicht nur unseren „Pride“, sondern auch unseren Stolz dürfen wir nicht verstecken! Denn egal wer oder was oder wie wir sind, so wie wir sind, in all unserer Verschiedenheit, in all den Farben und deren Nuancen des Regenbogens, sind wir gut! Sind wir wertvoll! Sind wir Menschen! Und wir dürfen stolz darauf sein wer oder was oder wie wir sind! – Und ist es nicht viel schöner in einer bunten Welt zu leben als in einer Welt von schwarz / weiß (oder noch schlimmer: braun)?

„Don’t hide your Pride“ – verstecken wir uns also nicht und sind stolz auf unsere Vielfalt!

     Was sind das für Zeiten, in denen wir gerade leben!

     Mal schauen, was 2020 noch bringen wird. Aber egal was da kommen wird, lasst uns dabei weiter aufmerksam sein, aufeinander achten und wachsam sein. Zum einem, weil trotz aller Lockerungen, die Pandemie noch nicht vorbei ist. Zum anderen, damit wir Diskriminierung, Stigmatisierung, Rassismus und Sexismus keinen Raum geben und entschieden etwas dagegen stellen – „DON’T HIDE AND TAKE AWAY OUR HUMAN RIGHTS!“