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Schauen, was die Zukunft bringt…

Ein Austausch mit Jugend gegen Aids

Was ein Brief doch auslösen kann…

Immer wieder, auf den unterschiedlichen Veranstaltungen im Bereich HIV und in Begegnungen von Aktivist*innen gab es ein Thema – Jugend gegen Aids (JgA). Und immer wieder drehten sich die Diskussionen und Auseinandersetzungen um die gleichen Inhalte:

  • JgA setzt allein auf das Kondom als Präventionsstrategie
  • JgA grenzt Menschen mit HIV aus
  • JgA möchte mit der HIV – (Aktivist*innen) – Community nichts zu tun haben
  • JgA veröffentlich weder ihre Satzung, noch ihr Curriculum

Immer wieder gab es Versuche verschiedenster Menschen mit den Verantwortlichen bei JgA ins Gespräch zu kommen, gemeinsam vielleicht an Projekten zu starten oder sich auch einfach nur einmal über das Thema HIV und Prävention auszutauschen. Aber alle Versuche verliefen im Sande. Entweder wurde irgendwann nicht mehr geantwortet oder in der persönlichen Begegnung waren die entsprechenden Personen plötzlich weg. Mensch kam einfach nicht ran an die Organisation, die so präsent ist, namhafte Unterstützer hat und sich um Geld wahrlich keine Gedanken machen muss. Aber Menschen mit HIV, die Fachmenschen überhaupt in diesem Bereich, die gibt es bei JgA nicht.

Das frustriert. Das macht wütend. Das macht sauer. Denn es gibt das Gefühl, dass es nur um Prestige und Geld geht. Dass sie mit Menschen mit HIV nichts zu tun haben wollen und diese ausgrenzen.

Auch auf dem Netzwerketreffen 2019 in Berlin, das wir als pro plus berlin e.V. ausrichten durften, war JgA Thema. Und die Teilnehmenden entwickelten einen Plan, um an die Verantwortlichen ran zu kommen. Und wenn sich der Vorstand schon nicht kontaktieren lässt, dann sollte der gesamte Beirat kontaktiert und nach seiner Motivation zur Unterstützung gefragt werden. So wurde ein gemeinsamer Brief erarbeitet und von verschiedenen Organisationen, die alle auch über AktHIV.de miteinander vernetzt sind, im gleichen Zeitraum an alle Beirats-Mitglieder verschickt.

Gab es Reaktionen? Ja. Zum einem meldete sich Johannes Kahrs, zu dieser Zeit Mitglied des Bundestages. Er lud in seinem Antwortschreiben zu einem Austausch ein. (Leider hat er auf die entsprechende Email bis heute nicht reagiert…) Aber auch das Bundespräsendialamt meldete sich per Schreiben. Sie wiesen darauf hin, dass der Bundespräsident die Arbeit von JgA unterstütze, aber nie eine Position im Beirat übernommen habe. Dies, so das Bundespräsendialamt weiter, wollten sie auch JgA selbst schriftlich mitteilen. Und dies scheint auch geschehen zu sein… Denn kurze Zeit später war die Rubrik „Beirat“ auf der Homepage von JgA nicht mehr aufrufbar. Einige Wochen war diese offline. Und dann, als sie wieder aufrufbar war – der Bundespräsident war plötzlich verschwunden.

Unsere Aktion hatte zwar keinen Austausch und keinen wirklichen Kontakt hergestellt, aber trotzdem hat er etwas bewegt.

Wir von pro plus berlin e.V. gingen dann sogar noch einen Schritt weiter. Wir kontaktieren alle Spender*innen und Unterstützer*innen von JgA und hinterfragten auch bei diesen ihre Motivation zur Unterstützung.

Ja, man kann dieses Vorgehen fraglich finden. Wir haben nicht mehr, nach einigen vergebenen Versuche, den direkten Kontakt zu JgA gesucht, sondern haben den Umweg „hinten rum“ gewählt. Nicht ganz schön, aber – was sollen wir schreiben – wir hatten Erfolg. Denn plötzlich bekamen wir ein Schreiben direkt von JgA – und mit diesem Schreiben eine Einladung zum persönlichen Kennenlernen und Austausch.

So kam es, dass sich Roman Malessa für Jugend gegen Aids und Christoph Schaal-Breite für pro plus berlin e.V. am 22.07.2020 zu einem virtuellen Austausch trafen. Ein erster Schritt. Deswegen hatten wir uns auch vorgenommen möglichst offen und ohne Vorwürfe in dieses Gespräch zu gehen. Wir wollten mal schauen, worüber man sich mit JgA austauschen kann. Aber natürlich wollten wir Missstände offen und ehrlich ansprechen.

Zu Beginn des knapp über eine Stunde gehenden Gespräches stellte Roman Malessa noch einmal kurz die Arbeit und die Motivation von JgA vor. Dabei wurde dargestellt, dass sich die Motivation darin gründet, dass viele Jugendliche meinen, dass HIV für sie nicht relevant sei; durch Aufklärung die Stigmatisierung verringert werden soll; die „generell youth“ die Zielgruppe ist; es nicht nur um HIV, sondern um die allgemeine sexuelle Gesundheit geht („Du bist gut, wie du bist!“). Roman Malessa betonte auch, dass es sich bei JgA um ein Peer-to-Peer-Projekt handelt, dass sich mit Organisationen und Menschen mit HIV austausche. Danach gingen wir in den Austausch und die Diskussion. Dies alles nun detailliert wiederzugeben wäre ein wenig mühsam und würden diesen Rahmen sprengen. Deswegen soll hier nur auf die wichtigsten Themen, über die sich ausgetauscht und über die diskutiert wurde, kurz eingegangen werden:

  • Ausgrenzung von Menschen mit HIV: Christoph wies darauf hin, dass WIR („die Community“ / die Aktivist*innen im Bereich HIV) den Eindruck haben, dass JgA nichts mit Menschen mit HIV und den Aktivist*innen zu tun haben möchte. Alle Kontaktversuche wurden entweder nicht beantwortet, abgeblockt und verliefen im Sande. Da fragen WIR uns: Wieso? Schließlich, so Christoph weiter, gibt es das GIPA-Prinzip. Roman Malessa entschuldigte sich, falls Kontaktversuche nicht beantwortet wurden oder im Sande verliefen. Er selbst könne dies gerade nicht nachvollziehen, aber dies ist nicht die Einstellung und die Art und Weise wie JgA arbeiten und nach außen wirken will. Hier wünscht er sich eine Veränderung für die Zukunft. Bezüglich der Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und Menschen mit HIV entgegnete er, dass dies schon geschehe. In der Präsentation und im Austausch konnte Christoph dies aber nur für Projekte im Ausland, nicht innerhalb Deutschlands wahrnehmen.
  • Zielgruppe: Roman Malessa wies mehrere Mal darauf hin, dass es sich bei JgA um ein Peer-to-Peer-Projekt handelt. Dessen, so Christoph, sind sich alle Aktivist*innen wohl bewusst. Aber zum einem gibt es ja auch Organisationen, die sich an Jugendliche wenden. Und zum anderen kann und sollte ein Austausch ja trotzdem möglich sein, auch wenn man nicht die gleiche Zielgruppe hat. Denn gemeinsam könnten wir vielleicht nicht nur mehr erreichen, sondern im Austausch könnten wir auch voneinander partizipieren. Denn auch JgA könnte von UNS profitieren, da wir die Fachmenschen sind, die im Bereich HIV nicht nur aktiv sind, sondern die auch größtenteils mit HIV leben. Wir sind die Expert*innen, die Diskriminierung und Stigmatisierung erfahren. Dies alles ist für JgA nur Theorie, weswegen ein Austausch unumgänglich ist.
  • Guter und schlechter Sex: Christoph sprach außerdem an, dass beim Lesen der Homepage der Eindruck entsteht, dass JgA in „guten (mit Kondom)“ und „schlechten Sex (ohne Kondom)“ unterscheidet. Dem, so Roman Malesse, sei nicht so. Schließlich, so Roman Malessa weiter, gehe es JgA um eine positive Einstellung gegenüber den eigenen Körper und der eigenen Sexualität. Und da soll nicht gewertet werden. Es soll aber ein Verantwortungsbewusstsein für das eigene Handeln geweckt werden.

Der größte Vorwurf, der JgA unsererseits gemacht wird ist ja, dass sie so den Fokus auf das Kondom legen. Wieso? Dies kann man (nach den Äußerungen von Roman Malessa) in folgenden Schlagworten wiedergeben:

  • für die Jugendliche ist das Kondom näher an ihrer Lebenswelt als die PrEP oder die TasP;
  • Schutz vor weiteren Geschlechtskrankheiten;
  • die Jugendlichen haben viel punktueller Sex, wobei das Kondom praktikabler ist und
  • auf Festivals, Veranstaltungen etc. lässt sich das Kondom leichter verteilen.

Christoph wies dabei immer wieder darauf hin, dass auch Kondome keinen 100%igen Schutz vor Geschlechtskrankheiten bieten. Dessen ist sich JgA bewusst, weswegen es ihnen mittlerweile (nach dem Start mit HIV) um sexuelle Gesundheit /„selfcarness“ geht. Die Jugendlichen sollen für eine Achtsamkeit sich selbst und ihrer Gesundheit gegenüber sensibilisiert werden. Dafür, so Roman Malessa, werden auch die anderen zwei Präventionsstrategien sowohl auf der Homepage wie auch in dem von JgA veröffentlichten Buch erwähnt. Außerdem sind sie vor kurzem der „U=U-Bewegung“ beigetreten. Die Jugendlichen, so Roman Malessa weiter, sollen für sich selbst wählen, wie sie auf sich achtsam sein wollen. Eine immer wiederkehrende Botschaft aber sein, sich regelmäßig testen zu lassen.

JgA ist sich bewusst, dass gerade die Fokussierung auf das Kondom immer wieder Fragen aufwirft, aber (laut eigener Aussage in Absprache mit UNAids, der WHO und dem BMG) wurde sich für das Kondom als passendere Möglichkeit für Jugendliche in Deutschland für die Prävention entschieden. Und solch eine Fokussierung, so erwiderte Christoph, muss ja auch nicht schlecht sein. (Andere Gruppen, wie zum Beispiel die PrEPster*innen, fokussieren sich ja auch.) Aber es geht um die Außenwirkung, welche JgA gegenüber der Community und den Aktivist*innen hat und die Möglichkeit sich über Themen und Strategien kritisch auszutauschen, Dinge hinterfragen und miteinander diskutieren zu können. Dem hat sich JgA bisher gänzlich entzogen.

Insgesamt war es ein freundlicher und wertschätzender Austausch. In dem auch die Frage diskutiert wurde, wieso der Austausch oder eine Kooperation (wo sie möglich und sinnvoll ist) nicht geschieht. Derzeit ist dies aufgrund des Grabens, der vermutlich von beiden Seiten wahrgenommen wird und an dem aber auch (wenn man es ehrlich betrachtet) beide Seiten mitgebaut haben, nicht möglich. Dieser soll aber, so der Wunsch sowohl von Roman Malessa wie auch von Christoph, durch den nun begonnenen Austausch und den aufgenommenen Kontakt zukünftig überwunden werden. So kann sich Roman Malessa beispielsweise vorstellen in die Ausbildung der Teamer*innen neben dem wissenschaftlichen Fachpersonal auch Menschen mit HIV einzubeziehen. Dieses Gespräch kann dafür aber nur ein Anfang sein. Roman Malessa und Christoph wollen in Kontakt bleiben und bei allem, was war, in die Zukunft schauen. Andere Aktivist*innen können gerne den Kontakt zu JgA aufnehmen, denn der Austausch soll nun weitergeführt werden.

Ob dies alles nun umgesetzt wird oder nur Lippenbekenntnisse sind ist abzuwarten. Wir können und wollen ja auch JgA nicht ändern. Wir müssen sie akzeptieren wie sie sind. Aber wir können versuchen im Gespräch zu bleiben. Und gegebenenfalls können wir weiterhin unsere Stimmen erheben und Missstände ansprechen und kritisieren.

Was ein Brief doch auslösen kann…