HIV-Medikamente fürs Auslandssemester – Ein persönlicher Erfahrungsbericht
Hallo liebe alle,
mein Name ist Marcel und seit Anfang 2018 bin ich Mitglied bei pro plus berlin e.V.. Da ich zur Zeit noch studiere und aktuell ein Auslandssemester in Tokio, Japan mache, möchte ich euch ein wenig von meinen Erfahrungen berichten, wie es ist als HIV-positiver Mensch ein Auslandssemester zu machen.
In diesem ersten Beitrag, möchte ich dabei, vor allem auf die Zeit vor dem konkreten Auslandssemester eingehen und euch erzählen, wie kompliziert es doch ist, eine medizinische HIV Versorgung für das Auslandssemester zu gewährleisten.
Hierbei könnt ihr euch nun zwischen zwei Arten der Berichterstattung entscheiden. Da ich parallel zu diesem Blog, mein Auslandssemester in Videoform festhalte, könnt ihr entweder meinen Vlog (Video-Blog) zu dem Thema anschauen, oder aber den darauf folgenden (wahrscheinlich etwas strukturierteren und schneller zu lesenden) Text lesen.
I. – Einleitung:
Die Zusage für mein Auslandssemester in Tokio, im Wintersemester 2018/19, habe ich im Januar 2018 erhalten, nachdem ich vorher einen längeren Bewerbungsprozess (Bewerbungsunterlagen, Sprachtest und persönliches Gespräch) durchlaufen musste.
Ich war überglücklich über die Zusage und freute mich ab Herbst ein neues Land, einen neue Kultur und eine neue Universität kennen zu lernen. Noch nie zuvor, war ich entweder im asiatischen Raum oder in Japan selbst. Es war eine bewusst von mir gewählte Entscheidung, für einen kulturellen Schock, wie er wahrscheinlich nicht sehr viel heftiger sein könnte, wenn mensch, aus einem europäisch sozialisierten Umfeld kommt.
Jedoch war auch einer meiner ersten Gedanken und dies schon vor der offiziellen Zusage, wie kann ich meine Versorgung mit HIV Medikamenten während des Auslandssemesters gewährleisten und was muss ich dafür tun?
Um hier einmal einen kurzen erklärenden Passus für alle Menschen einzusetzen, welche sich nicht mit der Verschreibung von HIV-Medikamenten auskennen. Als HIV-positiver Mensch, muss ich alle drei Monate zum Facharzt gehen, um mir neue Medikamente verschreiben zu lassen. Außerdem um meine Blutwerte zu untersuchen. Dies geschieht, damit mensch auf Veränderungen im Körper und damit einer veränderten Wirkung der Medikamente auf das HI-Virus, sowie den Rest des Körpers, achten zu können.
Eigentlich sinnvoll und logisch. Jedoch schwierig, wenn mensch ein Auslandssemester von sechs Monaten vor sich hat und das „Ausland“ ein bisschen weiter entfernt liegt, als eine Auto-, Bus- oder Zugfahrt.
II. – Der Facharzt:
Somit habe ich mich also als erstes an meinen Facharzt gewandt, mit der Frage: Wie funktioniert eine Verschreibung von länger als drei Monaten, bei einem Auslandssemester, während des Studiums?
Denn mein Gedanke bei der Frage war, es sollte keine Probleme für das Auslandssemester geben. HIV wird heute glücklicherweise nur noch als chronische Krankheit angesehen und technisch gesehen bleibe ich an meiner Universität in Berlin eingeschrieben. Ich bin nur für sechs Monate woanders zum Studium.
In der Realität jedoch, gab es dann einige Probleme.
Die Antwort meines Facharztes war mir gegenüber um Hilfe bemüht. Aber er konnte mir nicht viel mehr als ein paar Wege über Grauzonen im System „Gesundheitsversorgung“ aufzeigen. Dabei habe ich diese Grauzonen dann abgelehnt, weil sie für mich wegen der Entfernung nicht praktikabel gewesen wären und weil ich es nicht einsehen wollte, dass eine HIV-positiver Mensch, den Weg über Grauzonen gehen muss, um sich während seines Auslandssemesters mit Medikamenten zu versorgen.
Dass sollte doch besser gehen, in diesem oftmals, als so vorbildlich betitelten Gesundheitssystem, im internationalen Vergleich? Was sollten wir denn tun, wenn es nicht einmal mit einem Auslandsaufenthalt eines Studierenden klar kommt?
Als Grund dafür, dass mein Facharzt mir nicht weiter helfen könnte, nannte er mir dann die Krankenkassen. Da diese nicht mehr als drei Monate an HIV-Medikamenten abgerechnet sehen wollen pro Quartal, könnte er mir auch nicht mehr verschreiben.
III. – Die Krankenkasse:
So machte ich mich dann also daran, nach dem Arztbesuch, meine eigene Krankenkasse anzuschreiben und diese nach einer Lösung für mein „Problem“ zu fragen.
Dabei möchte ich direkt, bevor ich die weiteren Ereignisse schildere, herausstellen, dass ich bei meiner Krankenkasse an einen vorbildlichen und tollen Menschen mit meiner Mail geraten bin, welcher immer sehr bemüht war mir in meiner Situation zu helfen, auch wenn das „System“ sich vielleicht dagegen gesträubt hat und dem ich an dieser Stelle sehr herzlichen Danken möchte (Auch wenn dieser Mensch, dies hier wahrscheinlich nie lesen wird.).
Auf meine erste Kontaktaufnahme zur Krankenkasse bekam ich einen Rückruf (von oben besagtem Menschen), welcher mir freundlicherweise die rechtliche Situation erklärte.
Aus seiner Position, als Krankenkasse, sagte er mir, gebe es kein Problem bei einer Verschreibung von mehr als drei Monaten pro Quartal. Das Problem liege vielmehr bei den Richtlinien der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin, welche meinen Facharzt daran hindern würde, mir Medikamente für mehr als drei Monate zu verschreiben.
Ein klassischer Fall von Verschiebung der Verantwortlichkeit leider, in diesem ersten Moment. Aber immerhin hatte ich einen weiteren Ansatzpunkt.
IV. – Die Kassenärztliche Vereinigung Berlin:
Die Nachfrage bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin brachte dann auch nicht sehr viel mehr Licht ans Dunkel.
Auf meine erste Mail wurde mir nur sehr kurz geantwortet, mit dem Verweis:
„Gemäß § 16 SGB V ruht der Anspruch auf Leistungen für Versicherte, solange sie sich im Ausland aufhalten. Ihr Arzt darf ihnen keine Verordnung für einen längeren Auslandsaufenthalt ausstellen.
Eine Verordnung zulasten der GKV (Anmerkung: Gesetzliche Krankenversicherung) kann nur erfolgen, wenn Sie Ihrem Arzt eine schriftliche Bestätigung Ihrer Krankenkasse vorlegen.“
Eine zweite Mail mit dem Verweis darauf, dass es von Seiten der Krankenkasse keine Probleme gebe, brachte dann leider nur weitere Abweisung, in der Form von Nennungen von Paragrafen aus dem Sozialgesetzbuch V und der Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses.
Hier wurde also auch die Verantwortung für mein Problem abgelehnt und noch viel schlimmer, hatte ich nicht einmal das Gefühl, als Mensch wahrgenommen worden zu sein, wie es bei der Krankenkasse der Fall gewesen war.
V. – Zurück bei der Krankenkasse:
Dementsprechend wandte ich mich dann wieder zurück an meine Krankenkasse, mit der ernsthaften Frage, ob ich mich nun an die Politik wenden müsste, wenn das Problem beim Sozialgesetzbuch und der Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses lag?
Wieder sollte ich darauf einen Anruf bekommen. Dieses Mal mit der Aussage, dass es noch ein/zwei eventuelle Möglichkeiten gäbe, diese allerdings noch ausgelotet werden müssten und ich mich wenige Tage gedulden sollte.
Wenige Tage später dann der dritte Anruf und die Erklärung, dass die Krankenkasse in meinem Fall eine Einzelfallentscheidung treffen könnte, diese allerdings meine Mithilfe benötige.
So solle ich mir meine Medikamente per Privatrezept von meinem Facharzt verschreiben lassen, den Betrag für diese, Verauslagen und anschließen das Privatrezept, sowie Rechnung für die Medikamente bei der Krankenkasse einreichen.
Nun muss mensch wissen, dass HIV-Medikamente keine Peanuts in Sachen Preis sind und wir hier von fast 5.000€! für 90 Tabletten in meinem Fall sprechen. Das heißt, dass war schon einmal eine riesige Hürde.
Zusätzlich hatte ich aber auch nie eine schriftliche Versicherung von der Krankenkasse über diese Vereinbarung, da alles über Telefonate lief. Das heißt, es hätte für mich auch schlecht ausgehen können und ich hätte das Geld nie wieder gesehen, wenn die Krankenkasse sich in Unwissen gewaschen hätte, da es nichts Schriftliches gab.
VI. – Fazit oder auch: „Und was ist die Moral der Geschichte?“
Schlussendlich kann ich nun schreiben, dass alles gut gelaufen ist. Das Geld für die Medikamente, über das Privatrezept, ist von der Krankenkasse wieder gekommen und ich bin in Tokio.
Jedoch muss ich auch schreiben, dass ich am Ende doch einen Deal über eine Grauzone („Einzelfallentscheidung“) gemacht habe. Das obwohl ich diese, am Anfang, bei meinem Facharzt noch abgelehnt habe.
Schließlich sollte doch das „System“ mit einem kleinen Auslandsaufenthalt eines Studierenden klar kommen, oder etwa nicht?
Was können wir aus dieser Geschichte nun lernen?
Da möchte ich als erstes mit dem Positiven beginnen und zwar, dass es in jedem „System“ auch Menschen gibt und diese einem helfen können.
Wäre der Mensch bei der Krankenkasse nicht gewesen, dann wüsste ich nicht, was ich nach der Antwort der Kassenärztlichen Vereinigung Berlins getan hätte?
Sicherlich konnte er mir zwar nicht die perfekte Lösung am Ende bieten, aber ich muss sagen, ich fühlte mich durch diesen Menschen im Gesundheitssystem gesehen, auch wenn es seine Fehler hat.
Jedoch sind diese Fehler leider riesig.
Wenn ein studierender Menschen, wie ich, fast 5.000€ parat haben muss und sei es nur für eine kurze Zeit, dann kann etwas nicht stimmen!
Ein Auslandssemester wird in unserer Gesellschaft eigentlich als etwas Gutes angesehen und jeder Studierende wird in Zeiten von Erasmus dazu angehalten eins zu machen.
Wenn aber, das Gesundheitssystem im Fall von HIV-positiven Menschen (und sicherlich noch anderen chronischen Krankheiten), keine Mechanismen hat, um diese während dieser Zeit offiziell! mit Medikamenten zu versorgen, dann haben wir ein großes Problem.
Ich hoffe, meine Geschichte kann zumindest zu einem kleinen Teil dafür sorgen, dass wir diese Fehler aus dem Weg räumen können. Das sich in naher Zukunft, keine jungen Menschen mit einer chronischen Krankheit (wie z.B. HIV-positiv zu sein), mehr mit dem Gedanken beschäftigen müssen, wie sie ihre Medikamente im Ausland bekommen.
So wie es bei mir der Fall war.
geschrieben von:
Marcel K. Mitglied seit 2018