Allgemein,  Leben mit HIV

Safer Sex 3.0 – aus dem Fachtag der Deutschen Aidshilfe 2019

Safer Sex 3.0 – unter diesem Titel fand am 08./09.11. diesen Jahres der Fachtag der Deutschen Aidshilfe in Berlin statt.

Safer Sex 3.0? Eine neue Strategie? Ist das was digitales? Nein, es bringt Safer Sex im Jahr 2019 auf den Punkt. Worum ging es?

Es ging um vielseitige Betrachtungsweisen von Safer Sex – aber allen ist eins gemein: Es geht um den Dreiklang der verschiedenen Safer Sex – Strategien: das Kondom, die PrEP und Schutz durch Therapie. Drei unterschiedliche Schutzmöglichkeiten – und alle sind gleichberechtigt und gleichwertig.

Safer Sex war schon immer mehr als nur ein Kondom. Man denke nur an den „coitus interuptus“. Aber in den letzten Jahrzehnten wurde Safer Sex sehr stark mit dem Kondom verbunden. Doch Safer Sex 3.0 ist mehr – in Bezug auf HIV. Dies muss immer wieder benannt werden. Denn Geschlechtskrankheiten (STIs) benötigen andere Schutzmaßnahmen. Und das Kondom war hier nie so sicher wie in Bezug auf HIV. Mit Safer Sex 3.0 geht es darum HIV – Neuinfektionen zu verringern. Und die Zahlen zeigen, dass dem so ist.

Safer Sex ist nicht gleich Safe Sex – einen hundertprozentigen Schutz vor STIs wird es nicht geben. Es geht darum, dass nun jeder Mensch (und dies beinhaltet unter anderem Cis-Menschen, Trans-Menschen, nonbinäre-Menschen) aus drei Möglichkeiten, die quantitativ und qualitativ gleichwertig sind, auswählen kann, wie er*sie sich vor HIV schützen möchte.

Die IWWIT – Kampagne mit gleichem Titel, die auf dem Fachtag nochmal vorgestellt wurde, verwendet die drei Möglichkeiten in ihren Publikationen immer gemeinsam und nie getrennt. Selbst, wenn nur eine Maßnahme vorgestellt wird, die anderen zwei Möglichkeiten sind immer sichtbar. Und IWWIT bringt die drei Möglichkeiten mit verständlichen Assoziationen gut rüber: den Schutzengel (den Schutz durch Therapie), den Vorausdenker (den PrEP-User) und den Klassiker (das Kondom). Keins ist besser, keins ist schlechter. Und jede*r kann die für sie*ihn angemessene Möglichkeit wählen. Und jede*r darf sich dafür entscheiden, wofür sie*er möchte. Denn, so bringt es IWWIT auf den Punkt: „Meine Wahl. Dein Respekt.“ – denn jeglicher Schutz verdient Respekt! (Umgekehrt gilt aber ebenso: Deine Wahl. Mein Respekt.) Denn leider ging es auf dem Fachtag auch um ein Thema: Blaming und Shaming. Und das sowohl für Menschen die Schutz durch Therapie praktizieren (Vorwurf: Virenschleudern), für die PrEP-User (Vorwurf: Schlampen), wie auch für Kondom-User (Vorwurf: das Kondom ist doch veraltet). Hier bedarf es, wie gerade schon erwähnt, des gegenseitigen Respekts. PrEP-User sind nicht gedankenlos und unverantwortlich. Menschen mit Schutz durch Therapie stellen kein Risiko dar. Und Kondom-User sind keine „letzten Mohikaner“. Menschen mit biochemischen Schutzmaßnahmen (= PreP und Schutz durch Therapie) sind keine „Kamikaze“-Ficker. Jede*r muss für sich selbst entscheiden, wie sie*er sich schützen möchte – und alle drei Schutzmöglichkeiten sind gleich gut und haben ihre Berechtigung.

Den aufmerksamen Leser*innen wird aufgefallen sein, dass ich gerade an zwei Punkten nicht korrekt gegendert habe – ich erwähnte PrEP-USER und Kondom-USER. Und das bewusst. Denn auf dem Fachtag ging es auch in Bezug auf Safer Sex 3.0 um die Möglichkeiten für unter anderem Cis-Frauen, Trans-Menschen und nonbinäre-Menschen und deren Bedarfe. Denn sie werden in den Diskussionen und Publikationen, in den Studien kaum bis gar nicht beachtet. Frauen (sowohl Cis- wie auch Trans-Frauen) wird generell Sexualität und Lust daran abgesprochen. Trans- und nonbinäre-Menschen wegen angeblicher Probleme mit der Hormonbehandlung ausgeklammert. Doch dies ist ein Fehler! Denn auch Cis- und Trans-Frauen, wie auch allgemein Trans- und nonbinäre Menschen können die PrEP (unter Berücksichtigung der Einnahmevorgaben) effektiv nehmen. Und neben dem Kondom gibt es auch das Femidom. Alle Teilnehmenden wünschen sich, dass auch die PrEP-Userinnen und Kondom/Femidom-Userinnen mehr und mehr Beachtung finden.

In allen Diskussionen wurde, wie schon erwähnt, darauf hingewiesen, dass sich Safer Sex 3.0 auf HIV bezieht. STIs bedürfen einer separaten Betrachtung und müssen von Sexualkontakt zu Sexualkontakt neu abgewogen und bewertet werden. Eins wurde aber sehr deutlich angesprochen: Früher wurde HIV dramatisiert. Es war das „Feindbild“, gegen das man etwas unternehmen musste. Mit den wissenschaftlichen Studien zum Schutz durch Therapie und der PrEP-Nutzung verliert HIV aber mehr und mehr das Drama und seinen Schrecken. Nun dürfen den STIs nicht dieses Drama zugeschrieben werden – „Aber man muss doch…“, „Jetzt werden sich die STIs verbreiten…“… Nein! STIs sind nicht zu verharmlosen, definitiv. Aber man muss ihnen auch nicht einen Schrecken geben, der nicht angemessen ist. Denn es gab noch nie Schutzmaßnahmen, die hundertprozentig vor STIs geschützt haben. Schon immer gab es ein „Restrisiko“ und schon immer musste jede*r für sich selbst abwägen, ob eine Ansteckung möglich ist oder nicht. Und die Fallzahlen zeigen deutlich, dass die Häufigkeit von STIs durch die biochemischen Schutzmaßnahmen nicht gestiegen sind.

Ein weiterer Bestandteil des Fachtages war ein Workshop, in dem es um den Umgang mit kritischen Fragen bezüglich der PrEP, des Schutz durch Therapie und Co. sowohl in der Öffentlichkeitsarbeit, wie aber auch im privaten Umfeld ging.

Natürlich gibt es kein Patentrezept. Es konnten aber einige Grundregeln und Formulierungen zusammengetragen werden. Dies alles hier wieder zu geben würde diesen Artikel sprengen. Aber es lässt sich eins hier festhalten: Es kommt auf die Sprache an! Wir müssen darauf achten wie wir Worte verwenden. Als Beispiel: Sex mit Schutz durch Therapie ist kein ungeschützer Sex – es ist kondomloser Sex; ein riesiger Unterschied. So können wir schon durch unsere Wortwahl und Formulierungen für Klarheit schaffen und den Menschen vielleicht den Sinn und Nutzen von Safer Sex 3.0 näher bringen.

Der Fachtag war vielfältig und voll mit Erkenntnissen. Es wurden aber auch die Dinge angesprochen, bei denen wir noch dringend Handlungsbedarf haben. Die Zeit verging ziemlich schnell und man hätte noch mehr Zeit mit Gesprächen und Diskussionen füllen können.

Zum Schluss möchte ich einen Kommentar stehen lassen, der die weiteren Chancen von Safer Sex 3.0 beleuchtet: Safer Sex 3.0 ist dieMöglichkeit auf ein selbstbestimmte und lustvolles Sexleben!