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Merkmal „ANST“; warum werden Menschen mit HIV bei der Polizei extra gekennzeichnet?

von Christoph Schreiber

In weniger als einem Monat findet die Bundestagswahl statt und zeitgleich bei uns hier in Berlin die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus

Deswegen haben wir von pro plus berlin e.V. mal bei allen Parteien, welche sich zur Wahl in Berlin haben aufstellen lassen (Stand 29.07.2021), zum Thema ANST nachgefragt.

Zur kurzen Erklärung:

Mit dem Kürzel „ANST“ für Ansteckungsgefahr werden in Akten und in den elektronischen Datenbanken der deutschen Polizei (INPOL) Personen gekennzeichnet, die mit HIV, Hepatitis B oder Hepatitis C infiziert sind.

Quelle: Wikipedia

Hierzu muss man nicht mal straffällig werden. Es genügt schon „nur Verdächtige*r“ einer Straftat zu sein. 

Selbst wenn eine beschuldigte Person freigesprochen wird, diese Person also völlig zu Unrecht angeklagt und eines Verbrechens beschuldigt wurde, kann das Merkmal ANST weiterhin in den personenbezogenen Daten der Polizei gespeichert sein. 

Gespeichert wird das ganze in INPOL (Informationssystem der Polzei). Aber wer hat alles Zugriff auf diese Datenbank?

Hierzu schreibt das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI):

“Zugriff auf das System haben neben dem BKA die Landespolizeidienststellen, die Bundespolizei, die Polizei des deutschen Bundestags, die Zollbehörden und das Kraftfahrtbundesamt. Die angeschlossenen Behörden können auf personenbezogene Daten bereits wenige Sekunden nach der Erfassung zugreifen.“

Quelle: Internetseite BMI

Dies kann bei einer Verkehrskontrolle dazu führen, dass Menschen die HIV-positiv sind, aufgrund vielleicht auch nicht selbstverschuldeter Ereignisse, von einem*einer Polizeibeamt*in seinen*ihren Führerschein mit Handschuhen zurückbekommt. Nur weil, warum auch immer, das Merkmal ANST in der Datenbank vorhanden ist. 

Das bei einer normalen Verkehrskontrolle nicht ausreichend Viren für eine HIV-, Hepatitis B- oder Hepatitis C-Infektion übertragen werden können, dürfte klar sein. (Quelle: Übertragungswege HIVÜbertragungswege Hepatitis BÜbertragungswege Hepatitis C).

Viele finden das Speichern solcher Personenbezogener Daten und die damit einhergehende Diskriminierung für nicht gerechtfertigt. 

Aber was ist Diskriminierung?

Diskriminierung im rechtlichen Sinne ist:

Eine Diskriminierung im rechtlichen Sinne ist eine Ungleichbehandlung einer Person aufgrund einer (oder mehrerer) rechtlich geschützter Diskriminierungskategorien ohne einen sachlichen Grund, der die Ungleichbehandlung rechtfertigt. Die Benachteiligung kann ausgedrückt sein z. B. durch das Verhalten einer Person, durch eine Vorschrift oder eine Maßnahme.

Quelle: Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Einige Parteien und alle öffentlichen Stellen berufen sich darauf, ihre Bediensteten vor einer Übertragung von HIV-, Hepatitis B- und Hepatitis C-Viren schützen zu wollen. 

Die Partei DIE LINKE im Bundestag hat schon am 12. November 2015 in einer kleinen Anfrage (Quelle: Drucksache 18/6755) die Frage „Zur Stigmatisierung HIV-positiver Menschen“ an die Bundesregierung gestellt. 

Dazu wird in Frage 20 auch auf das Merkmal ANST eingegangen:

„Welche Fälle einer Übertragung von HIV oder Hepatitis an Polizeibeamte im Rahmen eines Polizeieinsatzes sind der Bundesregierung bekannt?“

Quelle: Drucksache 18/6755

Die Bundesregierung antwortete am 7. Dezember 2015 wie folgt auf diese Frage:

Im Bundeskriminalamt (BKA) kam es bisher zu keiner HIV-/Hepatitis-Infektion im Rahmen eines Einsatzes. Es gab allerdings einzelne Verdachtsfälle, bei denen sodann entsprechende postexpositionelle Maßnahmen/Untersuchungen durchgeführt wurden. Bei der Bundespolizei sind ebenfalls keine Übertragungsfälle von Hepatitis B oder C oder HIV im Rahmen von Polizeieinsätzen bekannt.

Quelle: Drucksache 18/6949

Hier geht es zwar in erster Linie bei der Anfrage um Polizeibeamt*innen der Bundespolizei, da die Landespolizeibeamt*innen aber auch Thema bei den Landtagswahlen sind, hier in Berlin die Wahl zum Abgeordnetenhaus, haben wir von pro plus berlin e.V. den Parteien vier spezifische Fragen zum Thema ANST gestellt und möchten euch hier nun die Antworten präsentieren, die wir bisher erhalten haben.

Hier findet ihr unsere Fragen die wir am 29. Juli 2021 per E-Mail an die Parteien gestellt haben.

1.    Setzen Sie sich dafür ein, dass das Merkmal ANST bei Menschen mit HIV aus der polizeilichen Datenbank abgeschafft und vorhandene Vermerke gelöscht werden?

– Falls Ja: Wie können Sie sich das vorstellen?

– Falls Nein: Warum möchten Sie ANST weiterhin beibehalten, obwohl es keine wissenschaftlichen Gründe dafür gibt, diese Diskriminierung von Menschen mit HIV beizubehalten?

 

2.    Werden Polizeischüler*innen in ihrer Ausbildung zum Polizeidienst auch zum Thema HIV aufgeklärt und wird ihnen vermittelt, dass von Menschen mit HIV generell keine Gefahr einer Übertragung von HIV im Alltag besteht?

– Falls Ja: Wer unterrichtet dieses Thema?

– Falls Nein: Warum wird dies nicht getan und setzen Sie sich dafür ein, dies zu ändern?

 

3.    Unter ANST werden neben Menschen mit HIV auch Menschen gespeichert, die eine Hepatitis B oder C haben / hatten. Im Bereich Hepatitis konnten in den letzten Jahren enorme Erfolge in der Behandlung und Heilung erzielt werden. Gegen Hepatitis A & B kann man sich unter anderem impfen lassen.

Warum sollte ANST bei Infektionen, die sehr gut behandelbar sind, oder gegen die man sich heute impfen lassen kann weiter aufrecht erhalten bleiben?

 

4.    Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit Infektionskrankheiten polizeilich erfasst werden?

Quelle: Unsere Anfrage an die Parteien, 29.07.2021

Die Anfrage haben wir jeweils an die E-Mail Adressen der jeweiligen Parteien gesendet die auf deren Internetseiten frei zugänglich sind.

Die Antworten, welche wir erhalten haben lassen sich dabei grundlegend in zwei Lager einteilen. Die Parteien, welche das Merkmal abschaffen wollen und die, welche das Merkmal beibehalten möchten.

Im Lager „der Merkmal beibehalten“ Parteien ist die Antwort der CDU Berlin zum Beispiel recht einfach und klar:

Antwort zu Frage 1:

Nein.

[…]Quelle: Antwort auf unsere Wahlprüfsteine der CDU

Etwas differenziert auseinandersetzen tut sich die LKR (Liberal-Konservative Reformer) Berlin in ihrer Antwort:

Antwort zu Frage 1:

Ich spreche mich gegen die Streichung des personengebundenen Hinweises(PHW) „ANST“ aus und möchte dies auch begründen. Zunächst ist es wichtig zu wissen, dass im Katalog von „INPOL-neu“(Anmerkung: Das System INPOL wurde bereits vor Jahren ersetzt) erfasste PHW auch immer wieder ergänzt, abgeändert oder entfernt werden. Hier folgen die betroffenen Behörden des Bundes (Bundeskriminalamt, Bundespolizei, Polizei des Deutschen Bundestages, Bundeszollverwaltung) und der Länder (Landespolizeien) auch der gesellschaftlichen Entwicklung sowie den soziologischen und medizinischen Erkenntnissen. Zu diesem Zwecke tagt mindestens einmal jährlich ein vom Bundeskriminalamt geführtes Gremium.Ich glaube auch, dass für Nicht-Polizeikräfte sehr schnell der falsche Eindruck entstehen kann, dass hier künstliche Vorurteile geschaffen werden. Vergessen wir aber nicht, dass der Staat in seiner Eigenschaft als Dienstherr seinen Beschäftigten gegenüber eine Fürsorgepflicht wahrzunehmen hat.

Quelle: Antwort auf unsere Wahlprüfsteine der LKR

Diese Antwort ist jedoch gegen unsere Überzeugung von keiner Diskriminierung von Menschen mit HIV und können wir dementsprechend nicht unterstützen.

Auf der anderen Seite hingegen gibt es viel Unterstützung von Parteien das Merkmal abzuschaffen. Als eine guten Begründung sei beispielhaft auf die Antwort der Partei DIE LINKE verwiesen. Dort heißt es u.a.:

Antwort zu Frage 3:

Es ist aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar, welchen konkreten Nutzen – auch und gerade zur Eigensicherung – der PHW „ANST“ haben soll, da die Gefahr einer Ansteckung im Einsatzfall nahezu nur bei Personen besteht, die selber noch nicht wissen, dass sie mit einer entsprechenden Krankheit infiziert sind. Andere Maßnahmen der Eigensicherung erscheinen hier effektiver und nicht diskriminieren.

Quelle: Antwort auf unsere Wahlprüfsteine von DIE LINKE

Denn selbst die Bundesregierung sagt, dass dem BKA keine Übertragung von HI- oder Hepatitis-Viren bekannt sei (siehe weiter oben im Beitrag). 

Jeder Mensch kann selbst eine Auskunft beim Bundeskriminalamt beantragen und weis so welche Daten über einem selbst dort gespeichert sind. Wie das ganze funktioniert erfahrt ihr hier.

Wieso also wird ANST nicht abgeschafft, denn offensichtlich gibt es nur einen einzigen Nutzen der Daten; Menschen einen Stempel der infektiösität aufzusetzen!

Solltet ihr noch an weiteren Antworten der Parteien interessiert sein, dann könnt ihr hier die Antworten der Parteien die uns geantwortet haben im Wortlaut lesen:

ParteiOriginalantwort (PDF)
CDUOriginal Antwort
SPDOriginal Antwort
DIE LINKEOriginal Antwort
FDPOriginal Antwort
Bündnis 90/
Die Grünen
Original Antwort
AFDnoch keine Antwort erhalten
NPDZustellung der Frage nicht möglich da Postfach überfüllt
ÖDPnoch keine Antwort erhalten
Die Grauennoch keine Antwort erhalten
DKPnoch keine Antwort erhalten
SGPnoch keine Antwort erhalten
Piratennoch keine Antwort erhalten
Graue Panthernoch keine Antwort erhalten
Die PARTEInoch keine Antwort erhalten
VOLTOriginal Antwort
Die Humanistennoch keine Antwort erhalten
LDnoch keine Antwort erhalten
du.noch keine Antwort erhalten
Freie Wählernoch keine Antwort erhalten
Klimaliste Berlin noch keine Antwort erhalten
B*noch keine Antwort erhalten
GesundheitsforschungOriginal Antwort
Tierschutzparteikeine Zustellung möglich
LKROriginal Antwort
Tierschutz hier!noch keine Antwort erhalten
Mieterparteinoch keine Antwort erhalten
Berlin bildet!noch keine Antwort erhalten
dieBasisOriginal Antwort
TEAM TODENHÖFERnoch keine Antwort erhalten
die pinken/Bündnis 21noch keine Antwort erhalten
Stand 09.09.2021

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